Sozialgericht Berlin korrigiert Fehlentscheidung der Deutschen Rentenversicherung Bund
Das Sozialgericht Berlin hat in einem wegweisenden Urteil zugunsten einer Kamerafrau im Spielfilmbereich entschieden und damit eine Entscheidung der Deutschen Rentenversicherung Bund (DRVB) korrigiert. Die Clearingstelle hatte entgegen ihrer langjährigen Praxis die Tätigkeit der Klägerin als abhängige Beschäftigung eingestuft. Im Widerspruchsverfahren hatte die DRVB die Entscheidung bestätigt. Das hatte in der Branche für erhebliche Verunsicherung gesorgt.
Hintergrund des Falls
Eine Kamerafrau im Spielfilmbereich war im Rahmen eines Statusfeststellungsverfahrens bei der Clearingstelle für sozialversicherungsrechtliche Fragen entgegen langjähriger Praxis überraschend als abhängig beschäftigt eingestuft worden. Diese Entscheidung stand auch in deutlichem Widerspruch zum sogenannten Abgrenzungskatalog, den die Spitzenverbände, die Sozialversicherungsträger und auch die DRVB abgestimmt haben. Vorschläge seitens der Filmproduktionen und der Verbände, klare Leitlinien zu schaffen und Rechtssicherheit für alle Beteiligten herzustellen wurden bislang ignoriert.
Allerdings berichten immer mehr Filmproduktionen und Filmschaffende von Entscheidungen, die im Gegensatz zur bisherigen Entscheidungspraxis stehen – trotz aller anders lautenden Indizien und Hinweise. Das betrifft nicht nur die DOP´s und Kameraleute, sondern auch Kostümbildner, Editoren oder Szenenbildner.
Die Entscheidung des Sozialgerichts
Das Sozialgericht Berlin gab der Klage vollumfänglich statt und bestätigte damit die Selbständigkeit der Kamerafrau. Das Gericht würdigte dabei die spezifischen Eigenarten der Filmbranche und die typischen Arbeitsstrukturen im Spielfilmbereich.
Pikant an dem Fall: Die Deutsche Rentenversicherung hatte die bisherigen Informationen der Kamerafrau und der Produktion komplett ignoriert. Sie hatte einen künstlerisch hochwertigen Kinofilm als Fernsehfilm bezeichnet und sogar Sachverhalt erfunden, den es gar nicht gab, nämlich dass die Produktionsfirma künstlerische Konzepte verantwortet.
Bedeutung des Urteils für die Branche
Das Urteil hat erhebliche Bedeutung für die gesamte Film- und Medienbranche. Es stellt klar, dass bewährte Arbeitsformen im kreativen Bereich nicht ohne sachliche Begründung neu bewertet werden können. Die Entscheidung schafft damit vorerst Klarheit für Filmschaffende und Produktionsfirmen gleichermaßen. Derzeit läuft die Berufungsfrist.
Das Problem hinter dem Fall: Doppelverfahren ohne Mehrwert
Soweit ersichtlich war es das erste Verfahren für den Bereich Spielfilmkamera zur Frage der abhängigen Beschäftigung, das vor den Sozialgerichten verhandelt wurde. Fast keines der gängigen Indizien sprach vorliegend für eine abhängige Beschäftigung. Produktionen und Filmschaffende sind extrem verunsichert aufgrund der geänderten Entscheidungspraxis. Sie haben erheblichen Mehraufwand und Mehrkosten. Sie berichten derzeit verstärkt von ähnlichen Entscheidungen. Zudem handelt es sich bei diesen Verfahren um Doppelverfahren ohne Mehrwert. Da die meisten der betroffenen Filmschaffenden ohnehin in der KSK versichert sind und die dort erzielten Einnahmen an die DRVB abgeführt werden, würde sich in der Sache nur wenig ändern. Gern können Sie unsere Einschätzung, was diese Verfahren wirtschaftlich bedeuten, anfordern.
Kontakt für Rückfragen:
Rechtsanwalt Tobias Sommer LL.M.
Tel: 030 – 32 53 54 60
Aktenzeichen: SG Berlin S 221 BA 49/23
Zur Vertiefung:
DRVB ignoriert Grundsatzbedeutung für die Branche
Aus dem Widerspruch gegenüber der Behörde:
„Die vorliegende Feststellung irritiert erheblich, da sie sich gegen alle bisher bekannten behördlichen sowie gerichtlichen Entscheidungen für Kameraleute beim Spielfilm stellt. Es wird daher um
Vorlage beim Vorstand
bzw. dem entsprechenden Gremium und in der Folge dann um eine allgemeine Mitteilung gebeten, ob hier eine grundlegende Änderung der bisherigen Linie erfolgen soll, was weitreichende Auswirkungen in der Branche, die diesbezüglich als gefestigt gilt, hätte. Die bisherige Vertragspraxis müsste komplett geändert werden, sämtliche Spielfilm-Kalkulationen müssten angepasst werden, was wiederum Auswirkungen auf die gesamte Filmförderlandschaft in Deutschland hätte und Änderungen von Gesetzen, Verwaltungsvorschriften und Richtlinien usw. usf. Falls das explizit so gewollt ist, würde dies dann an die entsprechenden Verbände, wie … kommuniziert werden müssen, … welche alle nachhaltig irritiert sind.“
Was diese Verfahren wirtschaftlich bedeuten – Doppelverfahren ohne Mehrwert
Wirtschaftlich betrachtet wirft das Verfahren zahlreiche Fragen auf. Die Streitwerte, die die Gerichte ansetzen sind vergleichsweise niedrig. Das Risiko, wenn ein solcher Fall verloren geht, ist damit auch eher niedrig. Für das Gerichtsverfahren muss die Deutschen Rentenversicherung Bund der Filmproduktion nicht mal 1.000 Euro erstatten. Die tatsächlichen Kosten für die Produktion liegen aber ein vielfaches darüber.
Noch viel bedeutsamer ist aber, dass solche Verfahren enorme Ressourcen bei der Produktionsfirma und den Filmschaffenden bündeln. Damit wird Wertschöpfung aktiv verhindert. Statt zu arbeiten, müssen die Beteiligten Anträge bei der Clearingstelle stellen, Stellungnahmen abgeben, Widersprüche einlegen und begründen, Anhörungsbögen ausfüllen, Informationen für die Anwälte zusammentragen und die Verfahren dazu bestreiten einschließlich der mündlichen Verhandlungen.
Der Gesamtaufwand allein der Produktionsfirma und der Kamerafrau in diesem Verfahren summiert sich auf insgesamt mehr als 100 Stunden. Aufwand und Kosten für die anwaltlichen Vertreter kommt noch hinzu. Der Aufwand für die mündliche Verhandlung betrug vorliegend weit mehr als 40 Arbeitsstunden. Die Kamerafrau, 1 Richterin, 1 Beisitzer und eine Beisitzerin, 1 Filmproduzent, 2 Anwälte sowie der Vertreter der Deutschen Rentenversicherung Bund haben allein für die mündlichen Verhandlung vor Ort jeweils 2,5 Stunden aufgewendet (=20 Stunden). Fahrzeit und Vorbereitungszeit kommt noch hinzu. Überschlägig hat nur die mündliche Verhandlung damit mehr als 5.000 Euro gekostet. Das gesamte Verfahren mindestens das 5-fache. Den Streitwert,aus dem sich die Verfahrenskosten berechnen hat das Gericht auf 5.000 Euro festgesetzt.
Mit dieser Änderung der bisherigen Praxis und den wenig reflektierten Entscheidungen sowie der fehlenden Branchenkenntnis richtet die Deutschen Rentenversicherung Bund derzeit einen erheblichen gesamtgesellschaftlichen und volkswirtschaftlichen Schaden an.
Selbst wenn die Deutschen Rentenversicherung Bund mit Ihrer Ansicht Recht bekommen sollte ändert das in der Sache fast nichts. Denn die Filmschaffenden sind alle in der Regel über die KSK sozialversichert. Dort werden bereits immense Gelder für die Sozialversicherungsbeiträge vereinnahmt. Sie kommen dem System bereits zugute. Die DRVB streitet also nur über eine Umverteilung. Die Entscheidungen führen auch nicht zu echten Mehreinnahmen. Allein der Weg, auf dem diese Einnahmen erzielt werden ändert sich.
Gleichzeitig klagt die Deutsche Rentenversicherung über die hohe Zahl der Verfahren, die sie bearbeiten muss. Es handele sich um Massenverfahren, man habe aber nicht genügend Personal, um diese Verfahren sorgfältig zu bearbeiten.
Auch die indirekten Kosten sind erheblich, also:
- Produktivitätsverluste durch Rechtsunsicherheit
- zusätzlich aufgewendete Zeit und Kosten der Beteiligten
- Verzögerungen bei den Abrechnungen
- die Opportunitätskosten der gebundenen Ressourcen
- Auswirkungen auf die Branche, Neugestaltung der Verträgen und Vertragsbeziehungen, Verwaltungsvorschriften und Richtlinien, Neukalkulation von Produktionskosten, Kostensteigerungen, Information und Anpassung für die Filmschaffenden