Auftraggeber verlangen noch immer eine BfA-Befreiung, obwohl es eine solche schon längst nicht mehr gibt. Selbständig oder nicht, ist dann die Frage. Grund ist die sehr berechtigte Angst vor den Folgen der Scheinselbständigkeit. Das damit einhergehende wirtschaftliche Risiko von mehr als 40% zusätzlicher Forderungen auf jede gestellte Rechnung für einen Zeitraum von rückwirkend mindestens vier Jahren soll vermieden werden. Gibt es gleich mehrere selbständige Auftragnehmer, deren Status strittig ist, potenziert sich das Risiko, sowohl wirtschaftlich als auch vor Gericht. In einem Fall, der vor dem SG Leipzig landete, in dem ich eine Filmproduktionsfirma vertreten habe, waren es mit einem Schlag beispielsweise 20 Verfahren – aufgrund eines Bescheids der Deutschen Rentenversicherung Bund.
Im Medienbereich verspricht eine Mitgliedschaft in der Künstlersozialkasse erhebliche Zuschüsse bei Renten- und Krankenkasse. Auch hier geht es um die Frage der Selbständigkeit. Und auch das arbeits- und sozialversicherungsrechtliche Instrumentarium der Bundesrepublik stellt diese Frage immer wieder neu. Statusklagen, Clearingstelle und VR 27 sind hier die Stichworte. Die Rechtsprechung ist uneinheitlich, die Entscheidungen der Clearingstelle sind uneinheitlich, verlässliche Prognosen sind nicht immer möglich. Das Thema bleibt ein Dauerbrenner. Das ganze ist schlecht geregelt und manchmal völlig absurd, wie folgende 2 Beispiele aus meiner Praxis zeigen:
Statusklagen, Clearingstelle und VR 27
Die selbständige Mitarbeiterin bei einem Immobilienmakler wird gekündigt und beschwert sich darauf beim Berufsverband. Der Immobilienmakler will ihr den Mund verbieten und beantragt eine einstweilige Verfügung gegen die Ex-Mitarbeiterin vor dem Landgericht Berlin. Aufgrund der scheinselbständigen Tätigkeit beantrage ich die Verweisung zum Arbeitsgericht – auch aus taktischen Gründen. Das LG Berlin folgt meiner Linie, dagegen legt der Immobilienmakler sogar noch Beschwerde ein zum Kammergericht. Auch dieses Gericht bestätigt die Scheinselbständigkeit und damit auch die Verweisung zum Arbeitsgericht. Aber: Parallel hatte die Ex-Mitarbeiterin mit einer Arbeitsrechtsanwältin eine sogenannte Statusklage beim Arbeitsgericht eingereicht. Von einem anderen Gericht mussten jetzt also die gleiche Person und die gleiche Tätigkeit nochmal beurteilt werden in einem anderen Verfahren. Das Ergebnis? In erster Instanz wurde auf Selbständigkeit erkannt. Also genau anders rum als in meinem Fall. Die Mitarbeiterin war jetzt also gleichzeitig selbständig und scheinselbständig. Die Ironie: Das Arbeitsgericht war nun aufgrund der erkannten Scheinselbständigkeit auch für meinen Fall zuständig obwohl es das ganze ja anders beurteilt hatte. Zum Glück löste sich dieser Knoten in der Berufung zugunsten der Mitarbeiterin.
In einem Fall, den letztlich das SG Berlin zugunsten meiner Mandantin entschieden hat, hatte die Clearingstelle der Rentenversicherung für ein Set-Designerin beim Film völlig überraschend festgestellt, dass sie plötzlich abhängig beschäftigt sei. Bisher war sie immer als selbständig eingestuft worden. Doch bei diesem Film sollte alles anders sein. Sie hatte den gleichen Vertrag, die gleichen Antworten im Fragebogen, die gleiche Auftraggeberin und erbrachte auch die gleiche Tätigkeit – nur eben für einen anderen Film. Alles war wie immer, aber dennoch sollte sie plötzlich nicht mehr selbstständig arbeiten dürfen? Falsch, entschied das Gericht und befand, die Set-Designerin arbeite weisungsfrei. Für die Produktionsfirma bedeutet das erhebliche Zusatzkosten, die nicht in der Finanzierung geplant sind. Und die Set-Designerin hat mehr netto auf dem Konto und ist ncht doppelt abgesichert. Den ihre ganze Vorsorge ist ja auf Selbständigkeit hin ausgerichtet. Rentenentgeltpunkte für 3 Monate bringen ihr da nichts. Eine vierstelliger Betrag auf dem Konto hingegen schon.
„Maßgebend ist stets das Gesamtbild der jeweiligen Arbeitsleistung“
In § 7 Abs. 1 SGB VI heißt es beispielsweise „Beschäftigung ist die nichtselbständige Arbeit, insbesondere in einem Arbeitsverhältnis. Anhaltspunkte für eine Beschäftigung sind eine Tätigkeit nach Weisungen und eine Eingliederung in die Arbeitsorganisation des Weisungsgebers.“ Die Kriterien, welche in der Rechtsprechung eine Rolle spielen, gehen weit über den Gesetzeswortlaut hinaus. Gestritten wird dann, wer Weisungen erteilen kann und wer nicht. Gerade am Set hat der Regisseur das sagen, aus künstlerischen Gründen. Ähnliches gilt für die Arbeitszeiten, die durch einen Drehplan vorgegeben sind. Das eigene wirtschaftliche Risiko spielt oft eine tragende Rolle, aber auch ob eigene Arbeitnehmer und eigenes Equipment vorhanden sind oder nicht. Speziell für Film- und Fernsehschaffende kommt es beispielsweise auch immer wieder auf das Merkmal einer „programmgestaltenden Tätigkeit“ an.
In einem Grundsatzurteil hat das Bundessozialgericht schon in den 70er Jahren festgestellt, das für eine Beurteilung zur Frage der Selbständigkeit alle Umstände des Einzelfalles zu berücksichtigen seien: „Maßgebend ist stets das Gesamtbild der jeweiligen Arbeitsleistung unter Berücksichtigung der Verkehrsanschauung“ (Urteil vom 1. Dezember 1977 – 12/3/12 RK 39/74). Daran halten die Gerichte und Behörden bis heute fest und klären jeden Fall einzeln. Die Folge: jeder Selbständige und jeder Auftraggeber muss sich früher oder später mit dem Thema befassen und darauf seine Lebenszeit „verschwenden“.
Verwirrende Rechtslage
Doch die Rechtslage ist verwirrend, was sich am Beispiel der Kameraleute gut illustrieren lässt: In einem Rundschreiben vom Spitzenverband der gesetzlichen Krankenversicherungen, der Bundesagentur für Arbeit und der deutschen Rentenversicherung Bund (früher BfA=Bundesversicherungsanstalt für Angestellte) vom 13.4.2010 heißt es in Anlage 1 (3.), das grundsätzlich alle im Film- und Fernsehbereich tätigen Personen abhängig Beschäftigte sind, insbesondere „Kameraleute“. Ein Ausnahme gelte jedoch, wenn Personen „programmgestaltend“ tätig seien. Etwas später zählt das Rundschreiben eine ganze Reihe von Berufen auf, wo eine Selbständigkeit doch in Betracht kommt und nennt u.a. Bildregie und Lichtgestalter. Aber Kameraleute können lichtsetzend tätig sein. Doch damit nicht genug. Um die Verwirrung komplett zu machen, erlaubt das Schreiben einige Zeilen weiter Ausnahmen im Einzelfall und benennt als Beispiel ausdrücklich die EB-Kamera, aber nur bei einer eigenschöpferischen Tätigkeit. Eine Definition dieses Merkmals liefert das Schreiben jedoch nicht. Festzuhalten ist: Eine klare amtliche Regelung sieht anders aus.
Zahlreiche Klagen aus den unterschiedlichsten Berufsgruppen sind und waren bei den Gerichten anhängig. Es ist zu erwarten, das einige weitere Verfahren durch die Instanzen getragen werden und damit künftig weitere Klarheit in diesem Bereich einzieht, wie z.B. für GmbH-Geschäftsführer inzwischen der Fall ist. Zurück zum Beispiel Kamera: Bereits vor einigen Jahren hatte das Sozialgericht Stuttgart, Az: S 15 KR 8106/04 einen Veranstalter zur Zahlung der KSK-Abgabe auf die Honorare für Kameraleute verurteilt. Das Argument: die Kameraleute erbringen eine publizistische Tätigkeit, da Bilder für Veröffentlichung bestimmt sind, zudem seien sie im sogenannten „Künstlerbericht“ genannt. Ob die Kameraleute selbst bei der KSK versichert sind oder nicht und von der Abgabe überhaupt profitieren können, spielt bei dieser Frage keine Rolle. Mit diesem Argument wären sie selbständig, aber das sehen die Sozialgerichte unterschiedlich.
Verträge als Indiz und die programmgestaltende Tätigkeit
Das Sozialgericht Berlin hat z.B. ein Urteil für Cutter gefällt und wiederum einen ganz anderen Aspekt betont. Die Berliner Richter haben u.a. auf die vertragliche Vereinbarung und damit indirekt auch auf den Willen der Beteiligten abgestellt. Ein Punkt, den die Gerichte sonst als unbeachtlich verworfen haben (Urteil des SG Berlin vom 17.3.2011, Az: S 36 KR 142/10). Geklagt hatte eine Cutterin bzw. Filmeditorin, die für einen Fernsehfilm tätig war und die eine Assistenz hatte, die wiederum vom Produzenten bezahlt wurde. Die Selbständigkeit der Cutterin wurde mit der programmgestaltenden Tätigkeit begründet , dem Vertrag der Cutterin wurde eine eigene Bedeutung beigemessen.
Ganz anders ging der Fall eines Kameramanns für Sport- und Liveübertragungen vor dem gleichen Gericht Ende Mai 2011 aus, von dem mir nur die mündliche Urteilsbegründung bekannt ist: Der Richter meinte u.a., dass ein Grafiker als Angestellter auch schöpferisch kreativ sei, ebenso wie ein Schauspieler. Diese wären abhängig beschäftigt und das sei mit Kameraleuten auch so, es sei denn, diese drehen und bearbeiten das Material eigenverantwortlich. Die Tätigkeit eines Kameramannes unter Aufsicht eines Regisseurs sei also eine abhängige Beschäftigung. Es kommt also, wie so oft auf den Einzelfall an.
Meine Empfehlung:
Doch was sollen die Betroffenen tun? Das neudeutsche Zauberwort heißt Clearingstelle. Bei der Rentenversicherung Bund kann in einem Verfahren eigener Art ein Antrag gestellt werden, um den sozialversicherungsrechtlichen Status zu klären. Wird hier die Selbständigkeit verneint, ist der Weg zu den Gerichten offen. Der große Vorteil dieses Verfahrens ist das Privileg des § 7a Abs. 6 SGB VI, wo mit einer Frist 1 Monat nach Beginn der Tätigkeit eine rechtssichere Klärung herbeigeführt werden kann. Die oft genannten Nachteile sind das Entdeckungsrisiko und eventuelle Nachzahlungen.